Mein Freund kontrolliert mich - welches Beziehungsmuster dahintersteckt
Lisa kam zu mir ins Coaching, weil sie mit den Nerven am Ende war. Ihr Freund kontrollierte sie ständig. Sie fühlte sich wirklich eingeengt. Einfach nicht frei in der Beziehung. Gleichzeitig warf er ihr vor, sie würde ihm immer davonlaufen. Diesen Vorwurf hatte sie schon mehrfach in den Beziehungen davor gehört. Daher wollte sie darüber mit mir sprechen.
Lisa berichtete mir, dass sie ein gemeinsames Konto hätten und dass ihr Partner all ihre Ausgaben kontrollien würde. Es machte sie wahnsinnig, weil sie, wie sie selbst sagte, finanziell relativ gut standen. Was konnten sie sich leisten? Ständig musste sie sich rechtfertigen.
Doch Lisa wurde nicht nur beim Thema Finanzen kontrolliert. Ihr Partner las heimlich in ihrem Handy. Außerdem ging er jeden Abend das Haus ab und prüfte, ob die Haustür abgeschlossen war und alle Fenster verschlossen waren.
Lisa fühlte sich eingesperrt und unfrei, aber sie kam nicht dagegen an.
Ihr Handy hatte sie mittlerweile gesperrt. Aber wenn sie eine Nachricht schrieb, schaute er unauffällig über ihre Schulter. Wenn ihr Freund das Haus verließ, wurde die Tür von außen mehrfach abgeschlossen und dies verlangte er auch von ihr. Sein Sicherheitsbedürfnis war enorm ausgeprägt und Lisa ärgerte sich darüber maßlos.
Doch so oft sie das Gespräch bereits gesucht hatte: Es änderte sich nicht. Sie fühlte sich hilflos und verärgert zugleich. In ihrem Ärger ging sie feiern oder kaufte das x-te Oberteil. Sie wusste selbst nicht so genau, warum sie das tat.
Diese Themen belasteten die Beziehung enorm. Sie spürte, wie sie immer wieder Distanz zu ihrem Freund aufbaute. Die Beziehung der beiden wurde immer schlechter.
Wie Klarheit bei Beziehungsproblemen hilft
In unserer ersten Coachingstunde wollte ich von Lisa wissen, was sie sich wünscht. Wie sie leben wollte. Zuerst sagte sie mir nur, dass sie sich frei fühlen wollte. Sie wollte aber auch nicht nur neben ihrem Partner her leben. Sie träumte davon, dass sie einander verstanden und viel Spaß miteinander hatten. Sie wollte Nähe, ohne darin aufgefressen zu werden. Wir tauchten in die Situationen ein und es fiel ihr wirklich schwer. Ihre Vorstellungskraft kollidierte immer wieder mit dem, was sie erlebt hatte. Daher schauten wir genauer in ihre Vergangenheit.
Es stellte sich heraus, dass Lisas Mutter sie als Kind und Jugendliche ebenfalls kontrolliert hatte. Sie hatte heimlich ihr Tagebuch gelesen und sie rief die Mütter ihrer Freundinnen an, um sich zu erkundigen, was sie denn so alles machten. Lisa sagte, egal wo sie war, ihre Mutter hatte immer einen “Spion”, der sie beobachtet hatte und ihrer Mutter Bericht erstattet hatte. Sie war nie frei. Sie fühlte sich unter ständiger Beobachtung. Das Gefühl der Dauerkontrolle kannte sie daher sehr gut. Das Gefühl, kein eigenständiges Leben führen zu können, war ihr sehr vertraut.
Als Kind war Lisa von der Fürsorge ihrer Mama abhängig und konnte wenig am Verhalten ihrer Mutter ändern. Sie lernte jedoch früh, sich den Kontrollmechanismen ihrer Mama zu entziehen. Erzählte ihrer Mutter wenig, weil sie sich ohnehin nicht verstanden fühlte. Machte vieles im Geheimen.
Im Coaching arbeiteten wir an dieser Mutter-Wunde. An den Überresten ihres kindlichen Schmerzes, keinen Freiraum zur eigenen Entfaltung zu haben. Sie wusste, dass ihre Mutter sie liebte.Doch ihre Art zu lieben hatte sie erdrückt und dominiert. Sie spürte, dass sie auf einer tieferen Ebene das Leben ihrer Mutter bereichern sollte und kein eigenständiger Mensch sein sollte.
Sie kam sich selbst auf die Schliche, dass sie damals ein Muster entwickelt hatte, um Nähe zu vermeiden. Dass sie gelernt hatte, sich den Kontrollversuchen ihrer Mutter zu entziehen. Ihren Fragen konnte sie immer geschickter ausweichen. Sie hatte damals auch gelernt, wie sie Hilfe bei ihren Freundinnen bekamm, um ihre Mutter auszutricksen. Als sie erkannte, dass sie das gleiche Spiel auch heute machte, war es ihr unangenehm. Sie wurde enorm traurig. Diese Trauer war gut, denn sie unterstützt den Prozess des Loslassens und öffnete den Raum für neue Möglichkeiten mit ihrem Partner.
In meinem Blogbeitrag Mutter-Tochter-Beziehung: Bedeutung der Liebe kannst du tiefer in die Vielfalt dieser Prägung einsteigen.
Neue Möglichkeiten in der Partnerschaft
Lisa überlegte, wie sie es anders machen konnte. Sie hatte schon so viele Gespräche geführt und ihr Mut schwand dahin.
Ich ermutigte sie dennoch, das Gespräch mit ihrem Freund zu suchen. Sie hatte so viel mehr neue Klarheit und ich war überzeugt, dass diese Klarheit ihr helfen würde. Wir besprachen, dass Lisa ihren Freund damit konfrontieren sollte, dass sie sich eingeengt fühlte, wenn er die Finanzen kontrolliere und dass sie sich eingeengt fühle, wenn er das Haus verriegelt, oder ihr ständig bei allen Nachrichten über die Schulter schaute. Ziel des Gespräches sollte es sein, gemeinsam neue Lösungen zu finden.
Anfangs drohte das Gespräch der beiden in die gewohnte Richtung zu laufen. Sie unterbrachen das Gespräch und vertagten auf den kommenden Tag. Wir besprachen uns und ich ermutigte Lisa ihren Freund zu fragen, was ihn so sehr verunsichere. Wozu ihm sein Verhalten diente.
Diese Frage schien ihren Freund sehr zu überraschen. Anfangs versuchte er ihr zu sagen, dass sie der Grund dafür wäre. Er musste sie kontrollieren. Er brachte zahlreiche Beispiele an, wo Lisa ihm entflohen war. Lisa war klar, dass das nicht der ganzen Wahrheit entsprach. Zu klar waren ihr die Verbindungen zur Vergangenheit im Coaching aufgegangen. Sie wusste, dass es nicht ihr Verschulden war und das sie es gemeinsam erschaffen hatten. Sie bat ihren Freund ganz ruhig und doch bestimmt über die folgende Frage nachzudenken: “Wozu dient dir dein Verhalten?” Sie war bereit, wieder mit ihm darüber zu reden, aber nicht mehr bereit sich die Schuld in die Schuhe schieben zu lassen. Sie hatte erkannt, dass sie nicht so verantwortungslos war, wie sie selbst so lange Jahre angenommen hatte.
Lisa und ich sprachen erneut miteinander. Sie wollte von mir wissen, was ich dachte. Warum hatte ihr Partner dieses Kontrollbedürfnis? Natürlich kannte ich ihren Partner nicht. Ich machte ihr also einfach ein paar Vorschläge, welche Gründe dahinterstecken könnten. Als ich sagte, dass ihr Freund dieses Verhalten von seinen Eltern kannte, sagte sie: “Ja, das stimmt.” Sein Vater war der Dominante und Tonangebende in der Familie. Auch bei dem Punkt, dass ihr Partner vermutlich eine innere Leere spürte und diese nicht spüren wollte, war sie sicher, dass es etwas mit ihm zu tun hatte. Diese Vermutungen nahm sie zum Anlass, ihrem Freund einen Brief zu schreiben. Ihr Partner dachte über all das nach. Er konnte zwar noch nicht wirklich zustimmen, aber er sah ein, dass sie so nicht weiterkommen würden.
Er verstand, dass seine Kontrolle sie immer weiter auseinandertrieb.Lisa erkannte, dass ihre alten Strategien des Ärgerns und Weglaufens ihr nichts brachten.
Beziehungsmuster sind der Schlüssel
Für Lisa und ihren Freund war es wichtig ihre Muster zu erkennen und zu sehen, wie sie beide die Beziehung dadurch ins Wanken gebracht haben. Das „Nur deinetwegen-Spiel“ wollen sie beenden. Sie beide haben sich versprochen, einander nicht länger anzugehen und sich um ihre eigenen Muster zu kümmern. Sie haben vor, sich auf diese Beziehung einzulassen und nicht länger vor ihrem Schmerz davonlaufe. So wollen sie gemeinsam versuchen, ihre Beziehung wieder gesunden zu lassen. Miteinander zu heilen.
Wenn du das Muster in der Beziehung einmal erkannt hast, dann ist es leichter, die Wahrnehmung zu weiten. Dann bleibst du nicht gefangen in deinen Gefühlen, die häufig aus der eigenen Kindheit stammen. Dann entwickelst du Verständnis für dich und dein bisheriges Verhalten und kannst in Konfliktgesprächen ruhig und gelassen bleiben. Dein Bewusstsein wächst und die Kritik an dir selbst und an deinem Partner kann nachlassen, wenn es euch gelingt, das Muster offen anzuerkennen und gemeinsam zu durchbrechen.
Das, was euch bis dahin getriggert hat, muss euch nicht länger leiden lassen.
Für die Veröffentlichung dieser Geschichte habe ich die Erlaubnis erhalten. Lisa war der Meinung, dass mehr Menschen erfahren sollten, wie wichtig es ist, sich mit den eigenen Beziehungsmustern auseinanderzusetzen. Der Name Lisa wurde für diesen Beitrag gewählt. So können Lisa und ihr Freund anonym bleiben.